Die Selfish-Brain-Theorie, zu Deutsch die Theorie vom „selbstsüchtigen Gehirn", ist eine wichtige These zur Erklärung von Übergewicht. Ein Mechanismus sorgt dafür, dass das Gehirn stets genügend Zucker (Glukose) zur Verfügung gestellt bekommt, sei es auch zu Ungunsten der anderen Organe. Psychische Probleme, Stress, Übergewicht selbst oder weitere Faktoren können dazu führen, dass die Verteilung zwischen Gehirn und restlichen Organen gestört wird. Das egoistische Gehirn sorgt nun dafür, dass mehr Nahrung verzehrt wird, weil ihm der Zucker fehlt. Dieser Zucker wird aber unter anderem im Fettgewebe gespeichert, und der Betroffene wird dick. Neben Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) kann die Selfish-Brain-Theorie auch die Entstehung der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) vom Typ II erklären.
Das Gehirn beansprucht recht viel Energie, und zwar in Form von Glukose (Zucker, genauer: Traubenzucker). Es verbraucht schon ohne Belastung etwa die Hälfte der gesamten Glukose. Die Glukose wird im Körper aus der Nahrung gewonnen und kann auch aus den Energiespeichern des Körpers bezogen werden. Das Gehirn sorgt jederzeit dafür, dass es selbst genügend Glukose bekommt, egal wie der Ernährungszustand des Körpers ist. Bei Stress, wenn das Gehirn besonders viel Energie verbraucht, muss es noch viel mehr Glukose als sonst aus dem Blut entnehmen. Das Gehirn gilt in diesem Sinne als „selfish" (egoistisch) und nimmt nötigenfalls den anderen Organen die Glukose weg. Unter anderem wird die Insulinherstellung und -ausschüttung in das Blut aus der Bauchspeicheldrüse gedrosselt. Insulin sorgt dafür, dass der Zucker in die Organe aufgenommen wird. Wegen der nun geringeren Konzentration an Insulin bleibt mehr Zucker im Blut, den das Gehirn aufnehmen kann.
Dieser Mechanismus ist bei vielen Menschen beeinträchtigt. Die Ursachen können vielfältig sein. Psychische Einwirkungen, Vereinsamung, Konflikte, Stress oder die Fettleibigkeit (Adipositas) selbst können die normalen Vorgänge durcheinanderbringen. Ein möglicher Faktor ist auch die Ablenkung, beispielsweise durch Fernsehen oder Internet. Bei dicken Menschen zeigt sich oft eine Konfliktvermeidung gepaart mit einem erhöhten Verzehr von zuckrigen Lebensmitteln. Beides zusammen führt zu einem eingeschränkten Stressgeschehen im Körper und dies wiederum dazu, dass der Zucker nicht richtig verteilt wird. Der Sympathikus, ein Teil des vegetativen Nervensystems, spielt bei der Vermittlung eine Rolle. Ist er abgeschwächt, kommt es zu dieser Störung. Manchmal wirken auch Drogen, Medikamente oder Umweltgifte mit ein. Seltene Ursache ist eine krankhafte Strukturveränderung, etwa durch vererbte Störungen oder Tumore.
Die Glukose (der Zucker) wird nun vermehrt von den Körperorganen, vom Fettgewebe und von den Muskeln aufgenommen. Das Gehirn bekommt zu wenig Glukose ab. Das Gehirn gibt daraufhin logischerweise ein Signal, kurzfristig noch mehr Nahrung aufzunehmen. Der Betroffene bekommt Hunger und Appetit, obwohl der Körper mehr als genug mit Nährstoffen versorgt ist - nur das Gehirn ist nicht „zufrieden". Die überschüssigen Nährstoffe werden nach und nach immer weiter im Fettgewebe und anderen Körperstrukturen eingespeichert. Der Betroffene wird dicker und dicker.
Neben dem Übergewicht entsteht durch solche Abläufe auch die Zuckerkrankheit. Wenn nämlich die Speicherkapazität für den Zucker gerade erschöpft ist, wird der Blutzuckerspiegel zu hoch, und der Diabetes kann sich entwickeln.
Übrigens gibt es noch einen anderen Typ Menschen, der durch den Stress nicht dickleibig wird, sondern eher schlank bleibt. Weil das Selfish Brain sehr wirkungsvoll ist, neigt die Person dazu, abzunehmen, weil die Energie (der Zucker) ins Hirn fließt. Hunger entsteht seltener, weil das Gehirn immer gut versorgt ist, und es wird eher wenig gegessen. Diese Menschen neigen darüber hinaus zur Depressivität und zum so genannten Burnout-Syndrom.
Die Theorie des Selfish Brain stammt vom Lübecker Wissenschaftler Achim Peters. Zusammen mit seinem Team konnte er mit Experimenten die Theorie bekräftigen. Inzwischen ist das Erklärungsmodell weithin anerkannt. Deshalb beschäftigen sich nun auch viele andere Hochschulen mit dem Thema. Die Forschung befasst sich jetzt besonders mit Methoden zur Vorbeugung und Therapie der Fettsucht und des Diabetes (Zuckerkrankheit).
Die Selfish-Brain-Theorie bietet einen guten Ansatz, um Fettleibigkeit (Adipositas) sowie auch Diabetes (Zuckerkrankheit) vermeiden zu können. Natürlich ist Abnehmen auch mit verminderter Kalorienaufnahme verbunden. Mit Diäten allein ist das Selfish Brain jedoch nicht auszutricksen. Irgendwann entsteht wieder der Hunger, und der Betroffene kann gar nicht anders, als sich den Bauch vollzuschlagen.
Da der unvorteilhafte Ablauf des Selfish Brain erst bei Stress so richtig zum Tragen kommt, ist eine der wesentlichen Schlüssel zur Schlankheit die Stressvermeidung. Wer als Übergewichtiger seinen Stress abbaut, wird in vielen Fällen auch Pfunde verlieren. Sport ist hier besonders günstig, denn er reduziert nicht nur das Stresslevel, sondern verbrennt noch zusätzlich Kalorien.
Die Gefühlswelt ist definitiv ein Ansatzpunkt für die Vorbeugung und Behandlung von Übergewicht im Sinne der Selfish-Brain-Theorie. Das ungünstige Verhalten muss geändert werden, um der Fettleibigkeit entgegenzusteuern. Hier kann gegebenenfalls eine Verhaltenstherapie etwas bringen. Der Betroffene soll lernen, nicht mehr nur aufgrund von Stress und Konflikten zu essen, ohne überhaupt Hunger zu haben. Manchmal sorgt sogar eine Änderung der Lebenssituation für Abhilfe.
Letzte Aktualisierung am 06.12.2021.